Thank you Lithuania
Tibetans and friends of Tibet are verry proud of Lithuania.
Ein kleines Land bietet China die Stirn
Kai Strittmatter, 07.10.2021
Wohl kaum ein Land in Europa zeigt Autokratien aus dem Rest der Welt so klar die kalte Schulter wie Litauen. Besuch in einem Land, in dem man nicht mal mehr chinesische Handys benutzen soll.
Und dann auch noch die Sache mit den Handys. «Litauen rät den Leuten, ihre chinesischen Handys wegzuwerfen», titelte die BBC. Tatsächlich hatten Experten des litauischen Verteidigungsministeriums in Europa verkaufte Handys aus China untersucht, und dabei festgestellt, dass etwa ein Xiaomi-Modell eine zwar abgeschaltete, aber jederzeit aktivierbare Zensurfunktion hatte, die Begriffe wie «Freies Tibet» oder «Unabhängiges Taiwan» unterdrücken konnte.
Ein anderes Modell verschickte ohne Wissen der Nutzer verschlüsselte Daten an einen Server nach Singapur. «Wir empfehlen», sagte der stellvertretende Verteidigungsminister, «schon gekaufte chinesische Handys so schnell wie möglich loszuwerden.»
Schon wieder Litauen. Chinas Staatsmedien schäumten. Und die Hongkonger South China Morning Post fragte fassungslos, was um alles in der Welt das «klitzekleine Litauen» reite, dass es in einem fort «den Riesenpanda» China herausfordere. Jedenfalls faucht und brüllt der Panda seit Monaten schon in Richtung der Litauer.
Und in Litauen? Da sitzt die Regierung und beobachtet die Drohgebärden gelassen. «Wir sind auf dem richtigen Weg», sagt in seinem Büro in Vilnius Vizeaussenminister Mantas Adomėnas. «Wir stehen für demokratische Werte ein».
Begonnen hatte es in diesem Jahr damit, dass Litauen sich aus dem von China angeführten Handelsblock der ost- und zentraleuropäischen «17-plus-1-Länder» verabschiedet hatte – ein Affront gegen Peking. Wenig später der Eklat: die Annäherung zwischen Litauen und Taiwan, das verkündete, in Litauen eine Vertretung eröffnen zu wollen. Und zwar eine, die tatsächlich «Vertretung Taiwans» heissen soll, statt sich wie sonst weltweit üblich mit dem Wort «Taipeh» zufriedenzugeben, dem Namen von Taiwans Hauptstadt.
Seither hat China seinen Botschafter aus Litauen abgezogen, den Frachtzugverkehr durch Litauen eingestellt und die Vergabe von Einfuhrlizenzen für litauische Waren blockiert. Und Chinas Propagandamedien verunglimpfen Litauen als angeblich im Chaos versinkende «Witzbold»-Nation, als Lakaien der USA und als «Avantgarde der Anti-China-Front». «China sollte sich mit Litauens Nachbarn Russland und Belarus zusammentun und Litauen bestrafen», forderte das Pekinger Propagandablatt Global Times. Drei gegen einen.
Junge Demokratie gegen kommunistische Diktatur
Der Konflikt zwischen dem kleinen Litauen und dem grossen China hat eine solche Schärfe und zudem eine solche Symbolkraft gewonnen, dass er wie eine Mahnung über dem EU-Gipfel in Slowenien liegt. Vor allem am Dienstagabend wollten sich die EU-Führer hinter verschlossenen Türen über eine Strategie dem zunehmend aggressiv auftretenden China gegenüber austauschen.
Litauen gegen China. Das hat ein wenig die Anmutung von David gegen Goliath. Eine Drei-Millionen-Einwohner-Nation legt sich an mit einem Staat von 1,4 Milliarden. Eine junge Demokratie gegen eine kommunistische Diktatur. Aber Litauen spielte schon immer eine Rolle, die über seine tatsächliche Grösse weit hinausreichte.
In seinem Büro in Vilnius sitzt der 88-jährige Vytautas Landsbergis, Vater der litauischen Unabhängigkeit, und schlägt den Bogen durch die Jahrhunderte: das mächtige litauische Reich des Mittelalters, später die Besatzung durch das zaristische Russland, dann durch Nazi-Deutschland und schliesslich durch die Sowjetunion. «Eine chinesische Stadt ist so gross wie fünf Litauens», sagt Landsbergis. «Aber wir Litauer wurden über die Jahrhunderte hinweg geimpft gegen Unterjochung. Wir haben immer Widerstand geleistet.»
Als die Sowjetunion zerfiel, waren die Litauer die Ersten, die 1990 ihre Unabhängigkeit erklärten, und Vytautas Landsbergis – Grossvater des heutigen Aussenministers – führte den Kampf an.
Litauen und Taiwan: Landsbergis sieht da Parallelen: «Das kleine Litauen musste sich gegen das übermächtige Russland behaupten und das kleine Taiwan gegen das übermächtige China.» Man reiche sich die Hand, sagt er, von einer demokratischen Gesellschaft zur anderen.
Es ist nicht so, als ob China nicht gewarnt gewesen wäre. Als die neue Regierung aus Konservativen und Liberalen in Vilnius vergangenen November antrat, da schrieben sie in den Koalitionsvertrag hinein, man wolle «die verteidigen, die für Freiheit kämpfen, von Belarus bis Taiwan». Nun schreiben sich auch andere eine wertebasierte Aussenpolitik auf die Fahnen, ohne sich dann in der Praxis viel darum zu scheren. Litauen scheint da eine Ausnahme zu sein: Das Land gewährt seit Jahren schon der belarussischen und der russischen Opposition eine neue Heimstatt und bietet nun Peking die Stirn.
Chinas Zorn und «Wolfskrieger-Diplomatie»
Einer, der sein Glück kaum fassen kann, ist der Diplomat Eric Huang. «Die Welt ändert sich», sagt er. «Mehr und mehr Leute erkennen Chinas aggressives Tun.» Huang ist der Vertreter Taiwans im Baltikum – und bereitet nun von einem Hotelzimmer in Vilnius aus die Gründung der von Peking mit so viel Zorn bedachten Vertretung in Litauen vor. Stimmt schon, sagt er bei einem Kaffee, Diplomat zu sein für Taiwan, das sei schon «eine der grössten Herausforderungen».
Seit Jahrzehnten wird Taiwan von China nicht nur militärisch bedroht, sondern im Namen seiner «Ein-China-Politik» international isoliert. Weltweit erkennen nur noch 15 Ministaaten Taiwan diplomatisch an, überall anders darf Taiwan offiziell keine Konsulate und Botschaften betreiben, sondern nur «Vertretungsbüros», und die auch nur, wenn «Taipeh» draufsteht.
Aus «Taipeh» nun «Taiwan» zu machen, wie es Litauen tut, ist eigentlich ein winziger Schritt, mit einer offiziellen Anerkennung Taiwans als Nation hat das, wie Litauen beteuert, noch lange nichts zu tun. Europa solle genau schauen auf Chinas Zorn und seine «Wolfskrieger-Diplomatie», meint Eric Huang: «Die Bedrohung, der sich Taiwan gegenübersieht, könnte sich auswachsen zu einer für die ganze Welt.»
Peking will an Litauen ein Exempel statuieren
Litauens Vizeaussenminister Mantas Adomėnas sagt, es sei höchste Zeit für gemeinsames europäisches Handeln. China verschiebe zunehmend seine roten Linien. Die Demokratien der Welt stünden erneut in einem Wettbewerb der Systeme mit Diktaturen, «die sich selbst als die Zukunft präsentieren». Die Europäer müssten sich «zusammenreissen und die Kontrolle über die Entwicklung wiedererlangen, weil wir vielerorts eine Erosion demokratischer Normen und des Respekts für die Menschenrechte sehen», sagt Adomėnas.
Eine wertebasierte Aussenpolitik sei dabei zugleich Interessenspolitik: «Staaten wie Litauen können nur in einer Welt überleben, in der internationale Normen und eine globale Rechtsordnung respektiert werden.» China aber unterminiere diese.
Peking weiss um die Sonderrolle Litauens in Osteuropa, auch deshalb widmet es Litauen besondere Aufmerksamkeit. China möchte an dem Land ein Exempel statuieren, wie es das schon öfter getan hat mit unliebsamen Partnern. Im Moment sieht es so aus, als erreiche China das Gegenteil: Eine Solidaritätsbekundung nach der anderen ging in Vilnius ein, ein Zeichen der wachsenden Skepsis China gegenüber.
Die USA verurteilten Chinas Revanche-Aktionen gegen Litauen ebenso wie EU-Politiker. Sloweniens Premierminister Janez Janša, Gastgeber des EU-Gipfels am Dienstag und Mittwoch, schrieb Mitte September einen scharfen Brief, in dem er Chinas Vorgehen «verwerflich» nannte und von den EU-Partnern ein «vereintes, kohärentes und gemeinsames Vorgehen» gegen China forderte.
Es ist kein Geheimnis, dass dieser gemeinsamen Haltung vielleicht mehr noch als die Autoritären unter Europas Staatsführern vor allem Wirtschaftsinteressen im Wege stehen – und dass es oft Deutschland ist, das im Namen der Geschäfte auf eine weichere Linie dringt. «Als jemand, der durch sein Aufwachsen im sowjetischen System geimpft ist gegen autoritäre Ideologien, sehe ich eine Menge Naivität und blinde Flecken», sagt Vizeaussenminister Adomėnas: Oft überschatte der Enthusiasmus für kurzfristige Gewinne die notwendige Vorsicht vor langfristigen Abhängigkeiten. Abhängigkeiten, die China dann als «Waffe» benutzen könne. Von Deutschland, sagt Adomėnas, erhoffe Litauen sich «weniger Illusionen» über die Natur dieser Geschäfte. «Am Ende», sagt er, «ist die Gefahr, dass man sich selbst um seine Freiheit bringt.»