Der Dalai Lama wird am 6. Juli 2020 85 Jahre alt. Das geistliche Oberhaupt Tibets zieht immer wieder den Ärger Pekings auf sich, ist aber wegen seines friedlichen Protests weltweit hoch geachtet.

Es ist still geworden um den 14. Dalai Lama. Aus Furcht vor Ärger mit China will kaum noch ein Regierungschef das geistliche Oberhaupt der Tibeter empfangen. In den Augen Pekings ist der Dalai Lama, der mit bürgerlichem Namen Tenzin Gyatso heißt, nach wie vor ein Staatsfeind, dem es nur um die Abspaltung der Provinz Tibet geht. US-Präsident Barack Obama war einer der letzten, der sich trotzdem in aller Öffentlichkeit mit ihm traf. Am Montag wird der Dalai Lama 85 Jahre alt.

Runde Daten haben sich in jüngster Zeit in der Exilgemeinde der Tibeter in Dharamsala im Norden Indiens gehäuft. Im vergangenen Jahr war es 60 Jahre her, dass Zehntausende Tibeter mit dem Dalai Lama vor der chinesischen Armee nach Indien flohen. Am 22. Februar jährte sich dann die Thronbesteigung des 14. Dalai Lama zum 80. Mal. Der Sohn einer Bauernfamilie war gerade einmal zwei Jahre alt, als er als die Reinkarnation des 1933 gestorbenen 13. Dalai Lama entdeckt wurde. Drei Jahre später wurde das Kind dann fernab seiner Familie ausgebildet. Es sollte die längste aber auch heikelste Regentschaft in der mehr als 500 Jahre währenden Institution der Dalai Lamas werden.

Obwohl es Peking inzwischen mit einem alten Mann zu tun hat, nehmen die Spannungen zu. Für Journalisten ist es inzwischen nicht mehr möglich, nach Tibet zu reisen, die Flucht über die Grenze nach Indien wird zunehmend schwieriger, während die fünf Millionen Tibeter durch die Ansiedlung von Han-Chinesen in ihrer Heimat längst in der Minderheit sind. Wer beruflich voran kommen will, muss chinesisch sprechen. Der Dalai Lama aber erweist sich einmal mehr als hartnäckiger und kluger Gegenspieler der Weltmacht. Die Kommunistische Partei Chinas setzt schon seit Jahren ganz unverhohlen darauf, selbst die Reinkarnation des amtierenden Dalai Lamas zu bestimmen. Damit wäre den widerspenstigen Tibetern die einende Kraft genommen.

Darauf hat der Dalai Lama zuerst erklärt, dass sein Nachfolger nicht zwingend aus Tibet kommen müsse. Er könne sich auch vorstellen, dass seine Wiedergeburt in Europa gefunden werde. Womöglich sei es eine Frau. Dann stellte das religiöse Oberhaupt plötzlich die Tradition der Reinkarnation selbst mit der Begründung in Frage, dass eine Abschaffung besser sei als eine von China kontrollierte, umstrittene Nachfolge. Wenn er 90 Jahre alt ist, will der Dalai Lama darüber die Tibeter im indischen Exil abstimmen lassen. Von den Tibetern in Tibet kann man wenigstens ein Stimmungsbild einholen.

Wenig begeistert dürfte Peking auch gewesen sein, als der Dalai Lama 2011 sein politisches Mandat aufgab. In diesem Fall war es die Begründung, die es in sich hatte: Die Zukunft gehöre der Demokratie. Seitdem gibt es einen gewählten Ministerpräsidenten in Dharamsala.

Bislang sah es so aus, als ob Peking einfach nur auf das Ableben des charismatischen und in der ganzen Welt beliebten religiösen Führers warten müsste. Doch das ist jetzt wieder ungewiss. Zwar kann Peking weiterhin darauf bestehen, den künftigen Dalai Lama selbst auszuwählen. Es ist aber kaum anzunehmen, dass die Tibeter ihn anerkennen würden.

Vor wenigen Jahren wartete der 14. Dalai Lama mit einer weiteren Überraschung auf. Er wurde mit der Aussage aus seinem weiteren Umfeld zitiert, er werde in seinem Körper noch in ein freies Tibet zurückgehen. Deshalb beabsichtige er, 104 Jahre alt zu werden. Aus diesem Grund soll er auch seine anstrengenden Reisen stark eingeschränkt haben. Er muss schließlich seinen Körper schonen.

Für solche Aussagen lieben ihn seine Anhänger in aller Welt. Spätestens seit er 1989 den Friedensnobelpreis wegen seines gewaltfreien Widerstands verliehen bekam, ist sein Stern im Westen aufgestiegen. Doch zuhause im indischen Exil verliert die Jugend die Geduld. Viele ziehen es vor, in die USA oder nach Australien auszuwandern, statt sich als Bewahrer der tibetischen Kultur auf den fernen Tag vorzubereiten, an dem es eine Rückkehr in ein freies Land gibt. Auch in Tibet selbst haben viele die Hoffnung aufgegeben. Davon zeugen die Selbstverbrennungen von Mönchen. Um die 150 Mönche haben sich dort seit 1998 das Leben genommen.

«Lang lebe seine Heiligkeit der 14. Dalai Lama»